Philosophie
In unserer Praxis verstehen wir die Chiropraktik als eine ganzheitliche Heilmethode, die alle Ebenen des Menschen in den Blick nimmt: Körper, Geist, Gefühle und Seele können nie völlig getrennt voneinander betrachtet werden, sondern bilden ein einheitliches Ganzes. Eine der wesentlichen Grundannahmen der ganzheitlichen Chiropraktik ist darum, dass eine enorme Wechselwirkung zwischen all diesen Bereichen besteht. Ein geschulter Chiropraktor schließt sie nicht nur in die Anamnese mit ein, sondern weiß auch gezielt auf sie Einfluss zu nehmen. Moderne wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen immer mehr, dass die Chiropraktik mit diesem ganzheitlichen Menschenbild ihrer Zeit weit voraus war und vielleicht auch deshalb heute eine der erfolgreichsten Heilmethoden der Welt ist.
Den meisten Menschen dürfte die Chiropraktik vor allem als eine körperliche Methode ein Begriff sein, die dafür bekannt ist, in kürzester Zeit Schmerzen zu lindern und die Beweglichkeit wieder herzustellen. Dieser Eindruck ist natürlich nicht falsch, berührt aber nur die Oberfläche des tatsächlichen Wirkungsspektrums. In diesem Artikel soll ein kleiner Einblick in die Philosophie und Wirkungsweise der ganzheitlichen Chiropraktik gegeben werden, wie wir sie in unserer Praxis ausüben.
Die körperliche Ebene der Chiropraktik
Der Begriff „Chiro – Praktik“ bedeutet in etwa „Von Hand gemacht“ und beschreibt damit recht bildhaft die wesentliche Behandlungsmethode: Durch sanfte manuelle Impulse versucht die Chiropraktik auf natürliche und nicht-invasive Weise Blockaden und Spannungen aufzulösen und so die Funktion und Beweglichkeit wiederherzustellen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei die Wirbelsäule als Dreh- und Angelpunkt von Diagnose, Behandlung und Prävention.
Die Wirbelsäule ist die zentrale tragende Struktur unseres Körpers. Sie verbindet Beine, Rumpf, Arme und Kopf und ist wesentlich für die gesamte Biomechanik unseres Körpers. Eine unbewegliche Wirbelsäule verlangt dem Körper erhebliche Kompensationsmechanismen ab, die zu starken Verspannungen in Muskeln und Faszien führen und so den gesamten Organismus beeinflussen. Dabei können, zum Beispiel durch Schonhaltungen, auch von der Ursache weit entfernte Körperregionen Symptome zeigen. Durch ein tiefes Verständnis dieser Zusammenhänge behandelt der Chiropraktor nicht bloß Symptome, sondern bemüht sich so nah wie möglich an der eigentlichen Ursache der Probleme ansetzen, um dem Körper den Weg zur Selbstheilung zu erleichtern.
Die Wirbelsäule ist aber nicht nur als knöcherne Struktur bedeutsam, sondern trägt in ihrem Inneren auch die wichtigsten Nervenbahnen unseres Organismus. Die im Rückenmark liegenden Nerven steuern praktisch alle Bereiche unserer Gesundheit. Störungen in der Wirbelsäule können die aus dem Rückenmark austretenden Nerven beeinflussen und damit auch die Funktion der durch diese Nerven innervierten Organe und Strukturen beeinträchtigen. Über die Struktur der Wirbelsäule kann die Chiropraktik so direkten Einfluss auf das Zentralnervensystem und damit fast alle Bereiche unserer Gesundheit nehmen.
Die emotional-mentale Ebene der Chiropraktik
Die beschriebene neurologische Wirkung der Chiropraktik erklärt auch einen Teil ihrer Wirkung auf die Psyche. Denn die in der Wirbelsäule geschützten Nerven haben wesentlichen Einfluss auf alle Organe des Körpers, einschließlich des Gehirns und beeinflussen in diversen Organen die Synthese und Ausschüttung von Hormonen und Neurotransmittern.
Aber auch die muskuläre Verspannung an sich zeigt starke Korrelation zu geistiger und emotionaler Angespanntheit. Es wird wohl kaum gelingen, einen emotional angespannten Menschen zu finden, der die gleiche Anspannung nicht auch körperlich ausprägt und andersherum. Neuere Forschung belegt, dass allein unsere Körperhaltung direkten Einfluss auf unsere Stimmungslage hat und auch hier eine wechselseitige Beziehung besteht. Die Chiropraktik unterstützt durch das Auflösen von Spannungen im ganzen Körper eine natürliche, aufrechte Haltung, die mit positiven geistigen Qualitäten assoziiert wird. (Siehe zum Beispiel Miragall et al., 2020)
Zuletzt hat natürlich auch die Linderung von physischen Schmerzen an sich schon eine starke emotionale Komponente – kaum etwas schlägt mehr auf das Gemüt, als anhaltende Schmerzen, wie Betroffene leidvoll bestätigen können. (Von Korff and Simon, 1996)
Die energetisch-spirituelle Dimension der Chiropraktik
Während die energetisch-spirituelle Dimension bei vielen Chiropraktikern heute immer mehr in den Hintergrund gerät, war sie dem Begründer der Methode Daniel D. Palmer eigentlich ein ganz zentrales Anliegen. Genauso, wie ihm das Wissen um die menschliche Anatomie, welches er von der Schulmedizin erlangte, eine zentrale Grundlage war, gilt dies gleichwohl auch für vitalistische Prinzipien, die an fernöstliche Heilkunst erinnern, sich aber auch im Westlichen Vitalismus wiederfinden. Die letzteren gehen davon aus, dass der Körper von einer zentralen Lebensenergie (Chi, Prana, Lebenskraft) belebt ist, wobei die Wirbelsäule als zentraler Energiekanal fungiert. Viele Aspekte dieser Lehren deckten sich mit den Beobachtungen, die Palmer an seinen Patienten machen konnte.
Aus dem Vitalismus entwickelte Palmer eine der wichtigsten Grundannahmen der Chiropraktik: die innere Intelligenz. Diese innere Intelligenz wird verstanden als die Intelligenz des Lebens selbst, eine allem Lebendigem innewohnende, ordnende Kraft. Palmers Annahme war, dass Gesundheit sich automatisch einstellt, wenn diese Kraft im Körper frei wirken und fließen kann. Ziel der Chiropraktik ist es darum, nicht nur körperliche Fehlstellungen zu kontrollieren, sondern dafür zu sorgen, dass die Lebenskraft wieder frei fließen kann und der Körper sich durch die innere Intelligenz selbst heilen kann. (Palmer, 1910)
Die Chiropraktik schließt hier ausdrücklich eine spirituelle Dimension in ihr ganzheitliches Menschenverständnis mit ein, die im Menschen mehr sieht als eine biologische Maschine aus rein mechanischen Vorgängen.
Aus der Idee der inneren Intelligenz lässt sich das Grundverständnis der ganzheitlichen Chiropraktik ableiten:
- Der Körper ist ein selbstregulierender und selbstheilender Organismus.
- Die innere Intelligenz wirkt über das Nervensystem, von dem aus alle anderen Funktionen des Körpers gesteuert werden. Dadurch können auch verschiedenste Beschwerden über das Nervensystem beeinflusst werden.
- Fehlfunktionen der Wirbelsäule beeinträchtigen die Funktion des gesamten Organismus und hemmen die Selbstheilungskraft des Körpers.
- Gesundheit ist der natürliche Zustand des Menschen. Sie stellt sich automatisch ein, wenn der Körper störungsfrei funktionieren kann.
- Ziel der Chiropraktik ist es, die innere Intelligenz des Körpers bei der Selbstheilung zu unterstützen. Nicht der Chiropraktor heilt den Körper, sondern er unterstützt diesen nur dabei, sein Gleichgewicht wieder herzustellen und sich selbst zu heilen.
Quellen:
Miragall, M. et al. (2020) ‘Effect of an upright (vs. stooped) posture on interpretation bias, imagery, and emotions’
Von Korff, M. and Simon, G. (1996) ‘The relationship between pain and depression’
Palmer, D. (1910) ‘Text-book of the science, art, and philosophy of chiropractic, founded on tone’
„Aus dem Vitalismus entwickelte Palmer eine der wichtigsten Grundannahmen der Chiropraktik: die innere Intelligenz. Diese innere Intelligenz wird verstanden als die Intelligenz des Lebens selbst, eine allem Lebendigem innewohnende, ordnende Kraft.“
