Jan Müller

Interview

Wie bist Du zur Chiropraktik gekommen?

Der Weg zur Chiropraktik begann für mich als Teenager, als ich mich stark am Knie verletzt hatte und anschließend für ein volles Jahr meinen Sport und mein gewohntes Leben aufgeben musste. In dieser Zeit durchlief ich viele verschiedene Therapien. Dabei wurde mir schnell klar, dass im Grunde genommen niemand verstand, was mit meinem Knie passiert war – und dass auch niemand wirkliches Interesse zeigte.

Aufgrund dieses Erlebnisses fing ich eine Physiotherapie-Ausbildung an. Doch schon im ersten Jahr erkannte ich, dass dies nur der Anfang meiner Reise war. Ich suchte nach einem fundierten Weg, um meinen Patienten eine akkurate Diagnostik zu bieten und sie dann so gut und effektiv wie möglich auf ihrem jeweiligen Weg zur Genesung zu begleiten.

Letztendlich fand ich genau das in der Chiropraktik. Eine tiefgehende, den ganzen Körper einbeziehende Methode, die mein Verständnis des Menschen und seiner Komplexität revolutionierte – und die bis heute mein Weg geblieben ist.

Was ist heute Dein Verständnis von Gesundheit? Was ist ein gesunder Mensch?

Jemand, der wirklich gesund ist, ist körperlich stark, ausdauernd, hochfunktionell und frei von Symptomen. Er ist emotional stabil, geistig klar und hat eine Form von spiritueller Verbindung.

Aus welchen Gründen kommen Menschen zu Dir in die Praxis?

Die meisten Menschen denken immer noch, Chiropraktik sei hauptsächlich eine Behandlung für Rückenschmerzen, obwohl die Chiropraktik ein viel breiteres Spektrum abdeckt und bei einer sehr großen Anzahl von Symptomen helfen kann. Chiropraktik kann auch dann besonders hilfreich sein, wenn gar keine körperlichen Symptome bestehen, zum Beispiel um Entwicklungsprozesse zu unterstützen und neue Potenziale zu erschließen. Ich denke, die Menschen wissen wirklich noch nicht, was Chiropraktik alles kann. Deshalb sind die häufigsten Beschwerden, mit denen Menschen zu uns kommen, derzeit definitiv Rückenschmerzen und Kopfschmerzen und verschiedene Formen von Taubheit und Kribbeln in den Gliedmaßen.

Aber es ist mir selbst da wichtig, nicht nur das körperliche Symptom zu sehen, sondern den Menschen als Ganzes. Ich möchte die Menschen für eine ganzheitliche Sicht sensibilisieren. Das heißt, nicht nur das Symptom isoliert zu betrachten, sondern seinen Platz im Gesamtsystem: Wie wir in Bezug zu unserem Leben stehen und welche anderen Bereiche für das Wohlbefinden oder möglicherweise das Leiden eine Rolle spielen.

In den letzten Jahren habe ich mich mehr und mehr auf Patienten mit chronischen Schmerzen, Erschöpfungssymptomatiken, Hypersensibilität und Ähnlichem spezialisiert. Diese Patientengruppen werden in der konventionellen Medizin kaum wirklich gut versorgt. Das Leiden ist groß, und umso mehr freue ich mich für jeden Patienten, wenn er/sie sich nach den Behandlungen auch langanhaltend besser fühlt.

Was macht die Chiropraktik für Dich so besonders?

Ich denke, ich persönlich habe hier wohl einen etwas anderen Ansatz als die meisten Chiropraktoren. Für mich ist das größte Geschenk die Erkenntnis, dass der physische Körper als Tor zu einer tieferen, ganzheitlichen Ebene fungiert. Durch den physischen Körper können wir den feinstofflichen Körper beeinflussen und damit auch die emotionalen, mentalen und spirituellen Aspekte des Menschen. Der physische Körper ist also ein großartiger Zugang zu einer viel tieferen Ebene der Heilung, die über das energetische System des Menschen vermittelt wird.

Wie siehst Du dabei Deine Rolle als Therapeut?

Neben der körperlichen Ebene sehe ich mich auch als Botschafter für eben diese ganzheitliche Sicht. Denn für mich ist es enorm wichtig, dass die Menschen die Zusammenhänge wirklich verstehen. Wenn sie zu mir kommen und sich unwohl fühlen, weil sie auf eine bestimmte Weise gebaut sind, finde ich es wichtig zu erkennen, dass dies nicht einfach ein „Fehler“ ist, sondern Sinn und Ursache hat. In meinen Augen ist es ein Teil unserer Aufgabe als Mensch, unsere Struktur wirklich zu begreifen und diese Struktur zu meistern. Darum sehe ich eine meiner Aufgaben darin, Menschen anzuleiten, ihre eigene Struktur zu begreifen.

Was meinst Du hier mit „Struktur“? Und was bedeutet es in diesem Zusammenhang, sich selbst zu erkennen?

Wir sind alle auf eine bestimmte individuelle Art und Weise gebaut. Es ist fast schon ein Klischee, zu sagen, dass wir alle individuell und unterschiedlich sind, aber es stimmt. Obwohl wir alle zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf haben, gibt es große Unterschiede. Einige von uns erleben sich vorwiegend durch Emotionen, andere können den ganzen Tag sitzen und Bücher lesen und sind eher intellektuell. Wieder andere müssen ständig draußen sein und sich körperlich betätigen, sonst fühlen sie sich nicht wohl und erfüllt. Diese Persönlichkeitsstrukturen spiegeln sich auch in der Struktur unseres Körpers wider: Es gibt diejenigen, die so steif sind, dass sie sich ständig strecken müssen. Und diejenigen, die so instabil sind, dass sie sich ständig stabilisieren müssen. Das ist etwas, was mich sehr fasziniert, weil ich denke, dass dies ein wirklich wichtiger Aspekt des Lebens ist: Sich selbst und seine eigene Struktur wirklich zu begreifen. Zu erkennen, was mein Körper braucht, was ich brauche, um Gesundheit, Wohlbefinden und Erfüllung zu erreichen.

Der Patient nimmt nur wahr, wie Du den Körper berührst, bewegst und justierst.  Wie ist Deine eigene Sicht? Was genau machst Du eigentlich mit dem Körper?

Das ist eine schwierige Frage, weil ich bei jedem Menschen etwas anderes mache, aber im Allgemeinen würde ich sagen: ausgleichen und aktivieren. Das ist es, was ich im Kern wirklich tue. Dafür benutze ich physische Spannungen und Gelenke. Ich setze Muskeln ein, um einen Prozess in Gang zu setzen, der von allein weitergeht, wenn ich als Therapeut nicht mehr da bin. Durch gezielte Heilimpulse sorge ich dafür, dass der Körper ausreichend Informationen hat, um sich selbst wieder in die Balance zu bringen.

Was ist für Dich das größte Potenzial der chiropraktischen Behandlung?

Das größte Potenzial ist, dass jemand mit so etwas wie Grenzenlosigkeit in Berührung kommt. Wenn der Körper nicht mehr als Einschränkung wahrgenommen wird, weil er völlig im Fluss ist. Wenn das passiert, sind die Menschen wirklich glücklich, dann wird auch der Geist leichter und verliert alle Anspannung.

Diese wirklich tiefgreifenden Wirkungen treten oft erst dann ein, wenn Menschen zu mir kommen, die bereits über ihre Symptome hinweg sind. Oder auch mit einer Symptombehandlung beginnen, aber danach dableiben. Denn dann können wir auf dieser tieferen beziehungsweise höheren Ebene der Gesundheit arbeiten. Es ist erstaunlich, so eine Transformation zu beobachten, und das ist auch für mich als Therapeut immer ein großes Geschenk.

Wenn Du einen neuen Patienten begrüßt, was sind Deine Ziele? Welche Reise zur Gesundheit siehst Du da?

Es ist unglaublich wichtig für mich, zuallererst die Person zu verstehen, die vor mir steht. Ich möchte wirklich verstehen, was sie bedrückt, was sie erreichen will. Denn es ist ein großer Unterschied, ob ich vorgebe, was erreicht werden soll, oder ob ich zuhöre, was diese Person selbst erreichen möchte. Und deshalb ist es eine meiner ersten Aufgaben zu verstehen, was das Ziel ist. Aus dem Ist-Zustand und diesem Ziel ergibt sich die Heilungsreise, und daran orientiere ich dann meinen Behandlungsplan.